Der 31-jährige Kidane ist eine unauffällige Erscheinung. Dahinter verbergen sich aber ein eiserner Wille und eine unerschütterliche Motivation. Als leidenschaftlicher Läufer, der von einer Profikarriere träumt, trainiert er mit grosser Gewissenhaftigkeit und in dem Bestreben, immer sein Bestes zu geben. Und das mit Erfolg. Dank seiner Podestplätze und Siege wird er als Generali Running Talent besonders gefördert. Wir sind stolz darauf, junge Sportlerinnen und Sportler mit Migrationshintergrund mithilfe dieses Programms finanziell unterstützen zu können. Wir möchten sie damit ermutigen, ihre sportlichen Träume und Ziele zu erreichen.
« Habt einen konkreten Traum und verliert ihn nicht aus den Augen. Vor allem: Verliert nie die Hoffnung. Es ist nicht einfach, in ein neues Land zu kommen. Man muss lernen, mit der Unsicherheit zu leben, und man muss Opfer bringen, um Erfolg zu haben und seinen Traum zu verwirklichen. Gebt nicht auf.»
Wer ist Kidane Solomon?
Kidane Solomon ist Eritreer. Er wurde 1990 geboren und kam 2014 als politischer Geflüchteter in die Schweiz. Mit dem Laufen begann er 2017 mehr oder weniger durch Zufall. Was zunächst ein reines Freizeitvergnügen war, entwickelte sich nach und nach zur Leidenschaft. Er trainierte regelmässiger und nahm an immer anspruchsvolleren Wettläufen teil. Im September 2020 erregte er Aufmerksamkeit, als er beim Halbmarathon in Frankfurt den dritten Platz belegte. Eine eindrückliche Leistung, wenn man bedenkt, dass er sich für den Wettkampf noch die Laufschuhe eines Freundes ausleihen musste. Nach diesem Erfolg trat er dem THSN Refugee Team bei, erhielt die notwendige Ausrüstung und nahm Anfang 2021 an einem dreimonatigen Intensivtraining in Äthiopien teil. Seine Leistungen verbesserten sich schnell und er absolvierte mehrere Wettläufe, bei denen er regelmässig als einer der Ersten ins Ziel kam.
Wenn man Kidane ansieht, spürt man sofort seine Begeisterung. Seine Leidenschaft für das Laufen, die Entschlossenheit, den Sport zu seinem Beruf zu machen, und den Willen, alles zu tun, um seinen Traum wahr werden zu lassen. Seine Bemühungen zahlen sich aus.
Sportliche Erfolge
- 20 km in 1:01:40 am 7. November 2021 in Genf beim «20 km de Genève by Genève Aéroport»
- 10 km in 30:46:85 am 4. Juni 2021 in Uster bei den Schweizer Meisterschaften
- Halbmarathon in 1:05:16 am 21. März 2021 in Dresden (Deutschland) beim Itelligence Citylauf Invitational
- 5 km in 14:18 am 22. November 2020 in Genf beim «20 km de Genève by Genève Aéroport» (1. Platz)
- Halbmarathon in 1:04:04 am 18. Oktober 2020 in Belp bei den Schweizer Halbmarathon-Meisterschaften (2. Platz)
- 10 km in 30:12 am 27. September 2020 in Belp bei den Schweizer Meisterschaften (4. Platz)
- Halbmarathon in 1:04:15 am 13. September 2020 in Frankfurt (3. Platz)
Kidane, hast du schon immer davon geträumt, Profiläufer zu werden?
Überhaupt nicht! Als Kind habe ich den Beruf des Landwirts von meinen Eltern gelernt. Ich konnte mir keine andere Zukunft vorstellen. Das Laufen habe ich erst nach der Flucht aus meinem Land und der Ankunft in Genf für mich entdeckt.
Erzähl uns ein bisschen von deinem Lebensweg und deiner Ankunft in der Schweiz.
Ich wurde am 5. April 1990 in einem kleinen Dorf namens Adi Bahro, nahe Adi Quala im Süden von Eritrea, geboren. Meine Eltern waren Bauern und wir waren neun Geschwister. Die Schule habe ich bis zur Sekundarstufe besucht. Die Regierung verdächtigte mich, das Land verlassen zu wollen, also kamen eines Tages Soldaten und nahmen mich fest. Das war 2012, da war ich 22 Jahre alt. Kaum war ich freigekommen, bin ich wirklich geflohen und habe meine Familie zurückgelassen.
Die anschliessende Reise war die schlimmste Zeit, die ich je durchgemacht habe. Sie dauerte insgesamt drei Monate. Quer durch die Wüste, durch den Sudan und dann nach Libyen, das war die Hölle. Auf dem Weg habe ich andere getroffen, die wie ich auf der Flucht waren. Wir haben uns gegenseitig geholfen. Ansonsten hätten wir nicht überlebt. Am Anfang haben wir uns nur von Wasser und Brot ernährt. Manchmal haben uns Leute in ihrem Fahrzeug mitgenommen und uns auch etwas zu essen gegeben. Aber es war nie genug für alle da. Ich habe mehr als 20 Tage lang nichts gegessen. Auch die Bootsüberfahrt von Libyen nach Italien war sehr gefährlich. In Italien habe ich nur vier Tage verbracht, bevor ich über Lugano in die Schweiz kam. Ich wurde im Asylzentrum von Vallorbe aufgenommen. Das war am 3. Juni 2014. Einige Wochen später kam ich dann in Genf an.
Wie hast du mit dem Laufen begonnen und wie bist du zum THSN Refugee Team gekommen?
Als ich noch in den Unterkünften des Zivilschutzes wohnte, habe ich meine Zeit mit Französischkursen und Freizeitbeschäftigungen wie Fussballspielen verbracht. Dort traf ich einen Freund, der vorschlug, dass wir an der Course de l’Escalade teilnehmen. Das haben wir eigentlich nur aus Spass gemacht, wir haben uns nicht einmal offiziell angemeldet. Ich bin dann auf der 5-km-Strecke die drittbeste Zeit gelaufen. Danach hatte ich Lust, öfter zu laufen – um in Form zu bleiben und auch einfach zum Vergnügen.
So bin ich auf den Geschmack gekommen. Ich habe angefangen, ernsthaft zu trainieren und an regionalen Wettläufen teilzunehmen. Dank meines damaligen Trainers Tesfay Tcha konnte ich meine Leistung nach und nach verbessern und begann, von einer Profikarriere zu träumen. Eine ehrenamtlich tätige Frau hat mir besonders geholfen. Sie heisst Magali. Sie meinte, ich solle mich bei Flag21 melden, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für die Integration von Geflüchteten mithilfe des Sports einsetzt. Auf diesem Weg kam ich schliesslich zum THSN Refugee Team und lernte dort Tadesse Abraham kennen. Anfang 2021 bekam ich dank einer Spendenaktion die Chance, gemeinsam mit ihm und anderen Spitzenathleten an einem dreimonatigen Trainingscamp in Äthiopien teilzunehmen. Dank der Unterstützung durch das THSN Refugee Team sind meine Chancen auf eine Profikarriere als Sportler beträchtlich gestiegen.
Wie sieht dein Alltag als Generali Running Talent aus?
Im Moment trainiere ich jeden Tag. Zweimal pro Woche nehme ich am Training des THSN Refugee Team teil, an den restlichen Tagen laufe ich zusammen mit Tadesse Abraham. Er und mein Coach Olivier Baldacchino helfen mir bei der Vorbereitung auf die Wettläufe, an denen ich teilnehme. Für einen 10-km-Lauf trainiert man anders als für einen Halbmarathon.
Was ist heute dein Ziel?
Mein Traum ist, vom Laufen leben zu können. Um das zu erreichen, möchte ich als Nächstes meinen ersten Marathon in unter 2 Stunden und 10 Minuten laufen.
Welche Botschaft möchtest du jungen geflüchteten Menschen und Migrantinnen und Migranten mitgeben?
Habt einen konkreten Traum und verliert ihn nicht aus den Augen. Vor allem: Verliert nie die Hoffnung. Es ist nicht einfach, in ein neues Land zu kommen. Man muss lernen, mit der Unsicherheit zu leben, und man muss Opfer bringen, um Erfolg zu haben und seinen Traum zu verwirklichen. Gebt nicht auf.