Homeoffice – Segen oder Stressfalle?

Jul 7, 2020.

Spätestens seit der Corona-Pandemie haben Unternehmen die Vorzüge von Homeoffice für sich entdeckt. Doch was zunächst aus vielerlei Hinsicht als ideale Lösung erscheint, kann auf Dauer zu Rückenschmerzen, Stress oder gar zum Burnout führen. Im Zuge unseres Themenmonats «Mitarbeiter absichern » haben wir mit Hansjörg Huwiler und Gina Auf der Maur von unserem Präventionspartner AEH Corporate Health Experts gesprochen. Sie erklären die Gründe und geben Tipps, wie man Homeoffice-Beschwerden vorbeugen kann.

Hallo Frau Auf der Mauer, Hallo Herr Huwiler, wo erreichen wir Sie gerade?

Gina Auf der Maur: Wir sind beide gerade in unseren Homeoffices.
 

Welche Vorteile hat die Arbeit zu Hause für Sie persönlich?

Gina Auf der Maur: Der grösste Vorteil ist ganz klar: Der Arbeitsweg fällt weg. Ich gewinne zum Beispiel eine ganze Stunde, die ich sonst morgens und auch abends unterwegs wäre. Ich habe ausserdem Familie: zwei kleine Kinder, vier und sieben Jahre alt. Um die kann ich mich jetzt natürlich besser kümmern.
Hansjörg Huwiler: Bei mir ist es ähnlich. Ich habe etwas mehr Zeit, stehe später auf. Zwischen geschäftlichen Telefonaten oder E-Mails kann ich mich bei schönem Wetter auch mal einen Moment auf den Balkon setzen, eine Tasse Kaffee trinken, ein paar Minuten entspannen. Dann geniesse ich die schöne Umgebung, anders als im Büro in der Stadt, wo man auf eine Strasse schaut. Allerdings kann es am Abend schwierig werden, richtig abzuschalten. Im Homeoffice ist man mit einem Schritt im Feierabend. Es gibt keine klare Zäsur, wie nach einem längeren Heimweg vom Büro.

 

Fällt das Abschalten im Homeoffice generell schwerer?

Gina Auf der Maur: Manchmal braucht es dafür ein kleines Ritual: Ich mache zum Beispiel abends nach der Arbeit erst einmal alle meine Geräte aus und schliesse die Tür vom Homeoffice hinter mir, bevor ich das Nachtessen vorbereite. Danach gehe ich dann bewusst nicht mehr an den Schreibtisch.
 

Auch die Mitarbeitenden von Generali sind ins Homeoffice gegangen. Was haben Sie während der Gesundheitsberatung bei uns und den Homeoffice-Nutzern aus anderen Unternehmen festgestellt?

Hansjörg Huwiler: Wer wegen Corona plötzlich nur noch zu Hause arbeiten konnte, hat sich erst einmal gefragt: Wo arbeite ich da überhaupt? Nicht alle hatten bei Ausbruch von Covid-19 bereits ein separates Zimmer, das sie sofort als Büro benutzen konnten. Viele mussten erst einmal schauen, dass sie einen geeigneten Platz in der eigenen Wohnung dafür finden und diesen entsprechend einrichten konnten. Das soll nach Möglichkeit ja kein Abstellraum sein, wo man auf irgendwelche Kleiderbügel schaut, sondern ein einigermassen helles, ruhiges und gut belüftetes Zimmer.


Gibt es weitere Faktoren, die für ein gesundes Arbeiten zu Hause wichtig sind?

Hansjörg Huwiler: Nehmen wir die Ausstattung: Sitze ich acht Stunden auf einem Küchenstuhl oder an einem Tisch, der vielleicht viel zu hoch ist? Das geht nicht. Oder: Habe ich genug Arbeits- und Ablageflächen? Wichtig auch: Wer jeden Tag acht Stunden am Desktop arbeitet, braucht einen ausreichend grossen Monitor und auch eine ergonomische Tastatur und PC-Maus. Auch eine schlechte Internet-Verbindung sowie fehlende Datensicherheit können zu Stress führen.
Gina Auf der Maur: Ich selbst hatte Glück. Mein Mann ist IT-Projektleiter, der selbst oft im Homeoffice arbeitet, weshalb wir bereits eine gute Infrastruktur hatten. Aber wer nicht bereits dafür eingerichtet war, hatte gerade zu Beginn der Corona-Pandemie oft Mühe, sich zu organisieren. Viele Betriebe bieten ihren Mitarbeitern inzwischen technische Unterstützung an. Dadurch hat sich die Lage wieder etwas entspannt und die meisten, die weiterhin im Homeoffice arbeiten, sind nun hoffentlich auch entsprechend ausgestattet.

«Homeoffice und anwesende Familie unter einen Hut zu kriegen, kann zur Herausforderung werden. Gemeinsame Vereinbarungen und Regeln sowie gegenseitige Rücksichtnahme helfen, diese zu meistern.»

Gina Auf der Maur, Psychologin lic. phil. / Fachperson BGM, AEH

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Lassen sich Arbeit und Familie zu Hause immer unter einen Hut bringen?

Gina Auf der Maur: Früher war mein Mann öfter zu Hause als ich. Da war es für uns etwas ungewohnt, dass auch ich nun durch das Homeoffice zwar vor Ort bin, aber die Kinder dann halt trotzdem nicht einfach reinplatzen dürfen, weil ich gerade eine Videokonferenz mit Kunden habe oder konzentriert arbeiten muss. Und auch ich musste lernen, nicht immer nach den Kindern zu sehen, wenn es mal etwas lauter wurde oder sie es gerade spassig hatten – mein Mann war ja schliesslich da. Damit muss man umgehen lernen. Jeder soll zu seinem Recht kommen, natürlich ohne die Arbeit zu vernachlässigen. Das fällt nicht immer leicht.
 

Wie können Konflikte zwischen Arbeit und Familie vermieden werden?

Gina Auf der Maur: Es lohnt sich, klare Vereinbarungen zu treffen. Ein Zettel an der Tür mit dem Hinweis «Bitte nicht stören!» wirkt oft schon Wunder. Wird der Zettel abgenommen, bedeutet das für Partner oder Kinder: «Ich darf anklopfen». Es gibt Leute beim Fernsehen, die für solche Fälle sogar ein Rotlicht aus dem Studio vor ihrem Homeoffice montiert haben, damit jedes Familienmitglied sofort merkt: «Bitte Ruhe!» Auch feste Zeiten für das gemeinsame Mittagessen sind sehr hilfreich.

 

Muss man für das Homeoffice geboren sein, gibt es eine Art «Homeoffice-Typ»?

Gina Auf der Maur: Wer sich gut organisieren und strukturieren kann, ist sicher im Vorteil. Man darf sich auch nicht so leicht ablenken lassen. Zudem kommt es darauf an, wie die sozialen Kontakte gestaltet sind: Wer nur ein sehr kleines soziales Umfeld hat und deshalb besonders auf den persönlichen Austausch mit den Kollegen angewiesen ist, wird sich im Homeoffice eher schwertun. Klar, es gibt Telefon, es gibt MS Teams oder WhatsApp. Aber das ist nicht dasselbe wie die direkte Begegnung im Grossraumbüro, auf dem Flur, in der Teeküche, beim Meeting oder beim gemeinsamen Mittagessen. Wer auch ausserhalb des Büros über ein gutes soziales Umfeld verfügt und gewohnt ist, sein Netzwerk auch virtuell zu pflegen, der wird das Homeoffice dagegen als angenehmer empfinden.

 

Für wen kann das Homeoffice zur Stressfalle werden?

Gina Auf der Maur: Zunächst für diejenigen, denen ausreichendes Knowhow im Umgang mit den notwendigen Technologien fehlt. Aber auch für Menschen, die ohne direkte Kontrolle durch die Vorgesetzten zu mangelnder Aufgabenbewältigung neigen. Und natürlich für alle, die ohnehin schon ein Burnout haben und daher eine strukturierende und engmaschige Betreuung benötigen. Oder jemand, der ein Suchtproblem hat. Im Homeoffice fehlt dafür die ausreichende soziale Kontrolle.
Hansjörg Huwiler: Es hat auch viel mit der inneren Motivation zu tun. Wenn ich einen Job nur mache, weil ich dafür bezahlt werde und sonst wenig Sinn in meiner Arbeit erkenne, ist das Homeoffice für mich sicher nicht so gut geeignet. Hier sind vor allem die Vorgesetzten gefragt. Wenn es zum Beispiel darum geht, Aufgaben zu verteilen, sollten die Mitarbeitenden wissen, welchen Beitrag sie zu einem Projekt leisten und welchen Sinn das Ganze hat. Auch sollten Führungspersonen für die Mitarbeitenden im Homeoffice ansprechbar bleiben und ausreichend Vertrauen in sie setzen.
Den Tagesablauf zu strukturieren, sich selbst zu motivieren, Ziele zu erreichen – all das kann aber auch erlernt werden.
 

Wie finde ich heraus, ob die Arbeit im Homeoffice für mich geeignet ist?

Gina Auf der Maur: Jeder sollte sich zunächst fragen, wie wichtig ihm das soziale Umfeld im Betrieb ist. Wen möchte ich jeden Tag sehen?
Hansjörg Huwiler: … oder aber, wen möchte ich nicht so gerne den ganzen Tag um mich haben? Es gibt auch viele Partnerschaften, die nur dann gut funktionieren, wenn eine gewisse Distanz gewahrt bleibt und man sich zum Beispiel lieber nach Feierabend begegnet. Auch solche persönlichen Dinge können zu Stress im Homeoffice führen.
 

Können alle Jobs aus dem Homeoffice erledigt werden?

Hansjörg Huwiler: Es kommt immer auf die Aufgaben an, die jemand zu bewältigen hat: Wer etwa als Projektleiter ohnehin viel unterwegs und daher auch gewohnt ist, flexibel zu arbeiten, tut sich sicherlich nicht so schwer. Man sollte eine Arbeit machen, bei der man nicht auf permanentes Feedback und Weisungen von anderen angewiesen ist. Wer eher weisungsgebunden arbeitet, dabei ein gewisses Pensum hat und auch im Homeoffice an feste Zeiten gebunden ist, muss sich gut abgrenzen können.

«Homeoffice braucht Struktur, sowohl für den Mitarbeiter als auch für die Führungskraft. Den Tagesablauf zu strukturieren, sich selbst zu motivieren, Ziele zu erreichen – all das kann auch erlernt werden.»

Hansjörg Huwiler, Ergonom Eur.Erg. / Leitung Corporate Health, AEH

Wann schadet das Homeoffice meiner Gesundheit?

Hansjörg Huwiler: Wer immer nur an einem relativ kleinen Bildschirm seines Laptops arbeitet, noch dazu in einer unergonomischen Körperhaltung, wird auf Dauer vermutlich Probleme mit den Augen, ein Nacken-Schultergürtel-Syndrom oder Kopfschmerzen bekommen. Daneben kann man auch psychische Auswirkungen beobachten: Gerade zu Beginn der Coronavirus-Pandemie mussten viele im Homeoffice mit ihren Ängsten vor einer Infektion oder auch mit der Sorge um ihren Arbeitsplatz umgehen. Belastungen dieser Art können zu Schlaflosigkeit, Konzentrationsmangel oder Depressionen führen.
Gina Auf der Maur: Solche Burnout-Symptome sind keine Seltenheit. Vor allem dann, wenn keine klaren Regelungen für die eigene Arbeitszeit und Erreichbarkeit mit der Firma getroffen wurden. Dann hat der Arbeitstag oft kein Ende und man fühlt sich irgendwann ausgebrannt.
Hansjörg Huwiler: Besonders schwierig ist der Wechsel ins Homeoffice schliesslich für Leute, die bereits zuvor ein Alkoholproblem hatten und die in der Teamarbeit bis dahin eine wichtige Stütze gefunden haben. Mit sich allein im Homeoffice ist der Griff zur Flasche dann leider keine Seltenheit. Wer solche oder andere schwerwiegende Probleme hat, sollte sich unbedingt dem Betriebsarzt oder dem Hausarzt anvertrauen.
 

Was raten Sie Unternehmen, damit das Homeoffice für die Mitarbeitenden nicht zur Stressfalle wird?

Hansjörg Huwiler: Wie schon Einstein sinngemäss gesagt hat, liegt in jeder Krise eine Chance. Das ist auch hier der Fall. Viele Unternehmen haben bereits während der ersten grossen Corona-Welle eine steile Lernkurve vollzogen: neue Arbeitsorganisation, andere Kommunikationstechnik, oft auch ein neuer Führungsstil. Unternehmen sollten diese Chance ergreifen und die Erfahrungen, die ihre Mitarbeitenden mit dem Homeoffice gemacht haben, auswerten und für die Zukunft nutzen. Hilfestellungen und Schulungsprogramme, in denen alle Beteiligten für die neuen Arbeitsformen fit gemacht werden, könnten ein erster Schritt in diese Richtung sein.
Gina Auf der Maur: Unsere Kinder sind da schon weiter: Sie lernen in der Schule schon früh das selbstständige Arbeiten. Es wird dieser Generation wahrscheinlich leichter fallen, später Eigenverantwortung zu übernehmen und sich selbst zu organisieren. Für unsere Kinder wird das Homeoffice eines Tages wohl ganz normal sein, zumindest in Berufen, in denen es heute schon gut funktioniert.
 

Vielen Dank für das Gespräch!

AUSWAHL AN PRÄVENTIONSMASSNAHMEN VON GENERALI