Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Revision des Erbrechts

Nov 24, 2022.

Per 1.1.2023 tritt das revidierte Erbrecht in Kraft. Im Interview mit Guido Studier, Training Expert bei Generali Schweiz, klären wir die wichtigsten Fragen, die mit der Revision aufkommen. Ausserdem erläutern wir, für welche Personengruppen das revidierte Erbrecht spürbar wird. Hat das Erbrecht auch einen Einfluss auf die eigene Vorsorge? Auch diese Frage beantworten wir.

Guido, was ändert sich mit dem neuen Erbrecht?

Das revidierte Erbrecht führt zu mehr Gestaltungsspielraum. Neu können Erblasserinnen und Erblasser testamentarisch über einen grösseren Teil ihres Nachlassvermögens frei bestimmen.

 

Was bedeuten die Änderungen für den Pflichtteil?

Heute beträgt der Pflichtteil – also der festgelegte Mindestanteil am Erbe – für die eigenen oder adoptierten Kinder drei Viertel. Künftig erben Kinder nur noch die Hälfte. Der Pflichtteil für Eltern entfällt sogar gänzlich. Am Pflichtteil des Ehepartners ändert sich nichts. Dieser beträgt nach wie vor die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.

Abbildung 1: Übersicht über die veränderten Pflichtteile per 1. Januar 2023

 

 

Ich habe bis jetzt kein Testament erstellt. Ändert sich etwas an der Aufteilung meines Erbes?

Nein. Die Erbschaft wird nach der gesetzlichen Erbfolge verteilt. An dieser ändert sich mit der Erbrechtsreform nichts. Wenn Sie verheiratet sind und eigene oder adoptierte Kinder haben, wird nach Ihrem Tod zuerst die güterrechtliche Auseinandersetzung vorgenommen ­­– analog einer Scheidung unter Lebenden. Anschliessend geht vom so berechneten Nachlassvermögen die Hälfte an den überlebenden Ehegatten bzw. an die überlebende Ehegattin und die andere Hälfte zu gleichen Teilen an die Kinder.

 

Ich habe bereits ein Testament erstellt. Muss ich etwas beachten hinsichtlich der Revision?

Es ist empfehlenswert, bestehende Testamente oder Erbverträge im Hinblick auf die Erbrechtsrevision überprüfen zu lassen. Vor allem, wenn Pflichtteilserben vorhanden sind und die damit verbundenen Pflichtteile wegfallen – wie bei den Eltern – oder im Fall von Nachkommen reduziert werden können. Denn dadurch ergeben sich für Sie höhere frei verfügbare Quoten. D.h., Sie können über einen grösseren Anteil Ihres Nachlasses frei bestimmen.

 

Was ändert sich für Ehepaare in der Scheidung?

Bisher entfiel der Erb- und Pflichtteilanspruch des Ehegatten bzw. der Ehegattin erst mit der rechtskräftigen Scheidung. Dies unabhängig davon, wie lange die Ehe bereits nicht mehr gelebt wurde. Neu entfällt der Pflichtteilsschutz des Ehepartners bzw. der Ehepartnerin unter gewissen Umständen bereits während eines hängigen Scheidungsverfahrens. Damit hat der Gesetzgeber eine neue Enterbungsmöglichkeit geschaffen bzw. dem Umstand Rechnung getragen, dass die neuen Lebensverhältnisse bereits in dieser Phase des Scheidungsverfahrens berücksichtigt werden können.

 

Was müssen Konkubinatspaare beachten?

Auch mit der Revision des Erbrechts wird das Konkubinat weiter nicht berücksichtigt. Somit bestehen weder ein gesetzliches Erbrecht noch sonstige gesetzliche Ansprüche. Die Begünstigung im Konkubinat muss – wie bisher – testamentarisch oder erbvertraglich geregelt werden. Berücksichtigen müssen Sie zudem die steuerliche Situation. An dieser hat sich durch die Revision nichts geändert: Je nach Kanton zahlt der erbende nicht verheiratete Lebenspartner oder die entsprechende Lebenspartnerin weiterhin Erbschaftssteuern in erheblichem Ausmass (bis zu 50% der Zuwendung).

 

Gut zu wissen:

Testamentarische Erbregelung: Das eigenhändige Testament – auch als eigenhändige Verfügung bekannt – ist die häufigste Form des Testaments. Hierbei handelt es sich um eine handschriftliche Erklärung über den letzten Willen des Erblassers oder der Erblasserin. Damit ein eigenhändiges Testament gültig ist, muss es u.a. das genaue Datum der Erstellung und die Unterschrift des Testators bzw. der Testatorin enthalten und das Wort «Testament» muss im Titel genannt werden. Zudem muss es der Erblasser oder die Erblasserin komplett handschriftlich verfassen. Eine weitere Form ist das öffentliche Testament. Dieses wird von einem Notar oder einer Beamtin in Anwesenheit von zwei Zeuginnen oder Zeugen aber in absoluter Vertraulichkeit aufgesetzt. D.h., die beiden – selbst im Testament nicht berücksichtigten und nicht mit dem Erblasser oder der Erblasserin verwandten – Zeuginnen oder Zeugen bescheinigen lediglich die Urteilsfähigkeit der erblassenden Person. Den Inhalt des Testaments kennen sie nicht. Nach der Errichtung des Testaments wird dieses bei den zuständigen Behörden hinterlegt.

 

Gut zu wissen:

Erbvertragliche Erbregelung: Der Erbvertrag ist eine Alternative zum Testament. Dieser ermöglicht es Ihnen, zu Lebzeiten über die Übertragung Ihres Vermögens auf einen oder mehrere Erben zu entscheiden. Es handelt sich dabei um einen rechtsverbindlichen Vertag, der zwischen Ihnen als Erblasser bzw. Erblasserin und mindestens einer weiteren Vertragspartei geschlossen wird. Um gültig zu sein, muss ein Erbvertrag notariell beglaubigt und in Anwesenheit von zwei Zeuginnen oder Zeugen unterzeichnet werden. Der Erbvertrag unterscheidet sich vom Testament dadurch, dass alle Vertragsparteien den Inhalt des Vertrages kennen und somit wissen, was sie erben werden. Ausserdem ist die Zustimmung aller Parteien erforderlich, wenn der Erbvertrag geändert oder aufgehoben werden soll. Bei einem Testament ist dies nicht der Fall ist.

 

 

Inwiefern profitieren Konkubinatspaare von der Revision?

Der Vorteil des neuen Erbrechts für ein nicht verheiratetes, kinderloses Konkubinatspaar besteht darin, dass der Pflichtteil der hinterbliebenen Eltern des Erblassers bzw. der Erblasserin komplett entfällt. Somit können im Konkubinat lebende Personen die ganze Erbschaft ihrem überlebenden Partner bzw. ihrer überlebenden Partnerin zuweisen.

Im Fall von gemeinsamen oder eingebrachten Kindern, deren Elternteil stirbt, reduziert sich neu der Pflichtteilsanspruch auf die Hälfte des Nachlasses, die andere Hälfte kann somit dem überlebenden Partner oder der überlebenden Partnerin vermacht werden.

 

Hat die Revision des Erbrechts einen Einfluss auf meine Vorsorgelösungen?

Im Konkubinat sind eventuell getätigte Vorsorgelösungen im Bereich von reinen Todesfallversicherungen zu Gunsten des hinterbliebenen Partners oder der hinterbliebenen Partnerin zu überprüfen. Allenfalls können Sie diese kündigen und die damit eingesparte Prämie für die Altersvorsorge einsetzen. Diese Überlegung gilt sinngemäss auch für Ehepaare, wenn zum Beispiel eine Todesfallversicherung speziell für die Auszahlung an die gemeinsamen Kinder abgeschlossen wurde. Durch die Reduktion des Pflichtteils der Nachkommen auf die Hälfte des gesetzlichen Anspruchs kann faktisch die Todesfallversicherungssumme um 25% reduziert werden.

 

Mit der Revision des Erbrechts tritt auch das neue Schenkungsverbot in Kraft. Was ist damit gemeint?

Bei Erbverträgen gilt neu ein grundsätzliches Schenkungsverbot. Das heisst eine Schenkung muss explizit im Erbvertrag aufgenommen werden. Hinterbliebene Kinder müssen Schenkungen durch ihren verstorbenen Elternteil an gemeinnützige Organisationen oder ähnliches nicht mehr akzeptieren. Durch diese Regelung wird das im Erbvertrag festgehaltene Erbvermögen vor unnötigem Vermögenverzehr geschützt. Neu müsste also eine Ausnahme in den Erbvertrag aufgenommen werden und zwar, dass Schenkungen zu Lebzeiten zum Beispiel an gemeinnützige Organisationen ausdrücklich erlaubt sind.

 

Tangiert mich die Erbrechtsrevision?

Sofern Sie bis heute noch nichts unternommen haben, ist die Revision ein guter Anlass, um Ihre Situation zu überdenken und eine Nachlassregelung zu treffen, die Ihren Wünschen entspricht. Deckt das neue Erbrecht noch Ihre Vorstellungen und Wünsche ab? Unsere Fachpersonen stehen Ihnen hierbei gerne beratend zur Seite und optimieren mit Ihnen allenfalls Ihre Vorsorgelösungen.

 

Sie haben bereits Vorkehrungen zu Ihrem Ableben mit einem Testament und/oder einem Erbvertrag getroffen? Dann ist es empfehlenswert zu prüfen, ob die getroffene Nachlassregelungen mit den Änderungen im Erbrecht kompatibel sind. Zu beachten gilt es zum Beispiel:

  • Welche Regelungen zu allfälligen Pflichtteilen sind in Ihrem Testament enthalten?
  • Regelt Ihr Erbvertrag den Punkt bezüglich lebzeitiger Schenkungen/Vermögensabtretungen?
  • Welche Flexibilität wollen Sie für Ihr Testament / Ihren Erbvertrag haben?

ÜBER DEN AUTOR

Guido hat Betriebsökonomie FH studiert und ist eidg. dipl. Versicherungsfachmann VBV. Er ist seit über 25 Jahren im Versicherungswesen tätig und bildet in der Generali Academy Versicherungsfachleute aus. Guido hat einen Executive Master of Finance ZHAW und ist auch eidg. dipl. Lehrer für Wirtschaft und Gesellschaft EHB sowie Mitglied von #TeamVorsorge.

 

Guido G. Studier, Training Expert bei Generali

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