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«Hier fangen wir alle von vorne an»

Wie Viktoriia aus der Ukraine in der Schweiz eine Arbeitsstelle gefunden hat. 

Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, flüchtete Viktoriia mit ihren Kindern in die Schweiz. Aber die Jobsuche gestaltete sich schwierig. Geholfen hat ihr Capacity, die mit ihrem Programm Geflüchtete bei der Integration in den Arbeitsmarkt unterstützt.

Viktoriia, was ist in deinem Leben passiert, als der Krieg in der Ukraine ausgebrochen ist?

Wir lebten in Kyiv und sind gleich nach Beginn des Krieges weg aus der Stadt zu Verwandten aufs Land, an die Westgrenze der Ukraine gefahren. Nach zwei Wochen abwarten haben wir gemerkt, dass sich die Situation nicht verbessert. Darum haben wir gemeinsam mit meinem Mann entschieden, dass ich die Kinder ins Ausland bringen muss. Wie alle unter 60-Jährigen musste er im Land bleiben. Ich konnte damals, vor 3.5 Jahren, nicht ahnen, dass wir unsere Heimat für unbestimmte Zeit verlassen würden und dass ich meinen Mann so lange nicht sehen würde. Aber am Ende zählte nur eines: Alles, was ich im Leben brauche, kann ich an meine zwei Hände nehmen – meine Kinder. 

Weshalb seid ihr ausgerechnet in der Schweiz gelandet?

Das war ein bewusster Entscheid, weil die Schweiz weit genug weg ist von der Ukraine und unabhängig von der EU. Wir lebten die ersten Tage im Hotel, aber dann lernte ich zufällig eine Frau kennen, die mir half, eine Wohnung zu suchen. Mir wurde immer gesagt, die Menschen in der Schweiz seien verschlossen – aber das Gegenteil war der Fall! Sie sind hilfsbereit und offen. 

Es war mir wichtig, für die Kinder schnell einen geregelten Alltag zu organisieren, damit sie zur Schule gehen und ihre sportlichen Hobbys wieder ausüben konnten. Und dann wollte ich so schnell wie möglich eine Arbeitsstelle finden, um nicht von Sozialhilfe abhängig zu sein. 

Wie lief deine Arbeitssuche?

Ich hatte keine Ahnung, was in der Schweiz für Regeln gelten, wenn man sich auf eine Stelle bewirbt. Das ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Darum habe ich einfach Inserate gesucht und meinen Lebenslauf geschickt – aber kein Motivationsschreiben dazu, sowas kannte ich nicht. Deshalb bekam ich in der Regel nicht einmal eine Antwort. Dann habe ich von Capacity und ihrem Programm Access Fast Track erfahren. Das Programm hilft Menschen wie mir, sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren, damit wir sprachliche und kulturelle Hindernisse überwinden können. Und danach hat sich sehr viel verändert.

Wie konntest du konkret vom Angebot von Capacity profitieren?

Ich habe von Capacity einen Coach zur Seite gestellt bekommen, Nicole Duarte von Generali Schweiz. Sie hat mir sehr geholfen, den Schweizer Arbeitsmarkt zu verstehen. Wir haben zuerst meinen Lebenslauf angepasst, und dann lernte ich, wie man einen Bewerbungsbrief verfasst. Zwar bekam ich immer noch Absagen, aber das war für mich schon ein Fortschritt! 

Ich lernte auch, dass es Plattformen wie LinkedIn gibt, und dass man auch mit Vitamin B eine Stelle finden kann. Seit 1.5 Jahren arbeite ich nun als Teamassistentin in der Stiftung Jugendnetzwerk in Zürich und Horgen, die Familien und Jugendliche in schwierigen und belastenden Situationen begleitet. Eine Aufgabe, die mir sehr gefällt.

Unsere Stiftung «The Human Safety Net Switzerland» unterstützt Capacity. Wie wichtig ist für dich ein Sicherheitsnetz aus Menschen in einem fremden Land?

Für mich war dieses Integrationsprogramm viel mehr als nur eine Hilfe bei der Stellensuche. Ich habe in den Workshops auch Freundschaften mit Menschen schliessen können, die ähnliche Situationen wie ich erlebt haben und hier mit denselben Themen konfrontiert sind. Wir waren eine Schicksalsgemeinschaft, weil alle von uns in ihrer Heimat eine gute Ausbildung genossen und viele in verantwortungsvollen Positionen gearbeitet haben. Aber egal was zuhause war – hier beginnen wir alle von vorne. 

Wo siehst du die Zukunft für dich und deine Kinder?

Der Grund für mein Leben im Ausland ist wirklich schrecklich. Trotzdem bin ich froh, gerade jetzt genau hier zu sein. Ich fühle mich mittlerweile wie zuhause, und habe gute Freunde gefunden, die mich unterstützen. Mein Deutsch wird immer besser, die Kinder sprechen es schon perfekt und sind hier gut integriert. Sie haben in der Schweiz ein sicheres Leben und eine Ausbildung auf hohem Niveau. 

Ich sehe unsere Zukunft hier – vorausgesetzt, wir dürfen bleiben. Wie es mit unserer Familie weitergeht, das weiss ich nicht. Ich habe meinen Mann seit zwei Jahren nicht gesehen. Ich muss mich ganz auf mich selbst verlassen und trage auch die Verantwortung allein – Tag für Tag. Auch die Kinder haben sich inzwischen daran gewöhnt, ohne ihren Vater zu leben. Und das macht mich sehr traurig. Ich vermisse meine eigene Familie sehr. Ich konnte mich von meinem Vater nicht verabschieden, als er vor 2 Jahren gestorben ist. Aber in Kyiv lebt man immer noch in Angst. Man weiss nie, wann und wo die nächste Rakete oder bewaffnete Drohne einschlägt. Das Einzige, was zu unserem Glück jetzt noch fehlt, ist Frieden.  

Viktoriia, Ukrainerin in der Schweiz

Viktoriia

Ukrainerin in der Schweiz

Viktoriia Vovk (42) hat Dokumentations- und Informationsmanagement studiert und arbeitete in der Ukraine als Abteilungsleiterin. Sie flüchtete mit ihren Kindern (heute 9 und 12 Jahre) in die Schweiz, als der Krieg in der Ukraine ausbrach. Heute lebt sie in Zürich und arbeitet als Teamassistentin in der Stiftung Jugendnetzwerk.